Andreas Fischer moraki kulturprodukte

Lindenhotel
1990, Dokumentarfilm

´Lindenhotel´nannte der Volksmund die Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Potsdam.

Im 18. Jahrhundert erbaut, wurde das Gebäude immer schon als Stadtgefängnis genutzt, 1933 von der Gestapo übernommen, im Krieg Wehrmachtshaftanstalt .

Nach Kriegsende 1945 diente es zunächst der politischen Polizei der sowjetischen Besatzungsmacht (GPU) und ab etwa 1952 der Stasi als Gefängnis.

Im Film kommen Häftlinge aus allen Jahrzehnten seit 1945 zu Wort, sowie ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (die Sekretärin des Gefängnisses und ein Wärter), außerdem konnte ein Original-Tonbandprotokoll eines Verhörs mit einem Repubkikflüchtling vom August 1989 verarbeitet werden..

Dieser Film , gedreht von den Filmemachern Andreas Fischer aus Berlin und Fayd Jungnickel aus Potsdam war einer der ersten Filme, die nach Öffnung der Mauer in deutsch-deutscher Kooperation entstanden.

– Gefördert mit Mitteln des FILMBÜRO NW –
– WDR-FÖRDERPREIS der 4. TAGE DES UNABÄNGIGEN FILMS / MÜNSTER –
– Prädikat „besonders wertvoll“ –
– zu sehen auf der BERLINALE 91 / Forum –

Der Film LINDENHOTEL kann über moraki kulturprodukte als DVD bezogen werden.

Andreas Fischer zu dem Film LINDENHOTEL (Text aus dem Presseheft, 1990)

(Andreas Fischer, 29, Fotograf, Filmemacher, Produzent, lebt in Berlin)

Anfang Februar 1990 rief mich Fayd Jungnickel aus Potsdam/DDR an, er sagte, er wolle einen Film über das Lindenhotel drehen. ´Lindenhotel´ war der Spitzname der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Potsdam.

Ich kannte Fayd von einigen Kurzfilmfestivals, auf denen wir uns getroffen hatten. Fayd fragte mich, ob ich Lust hätte, das Projekt mit ihm gemeinsam durchzuführen.

Ich sagte zu, ohne mir über die Tragweite im Klaren zu sein.

Wir trafen uns und es hieß schnell zu handeln, da in dem Gefängnis bald ein sogenannter TAG DER OFFENEN TÜR stattfinden würde, an diesem Tag wurde das Gefängnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. An diesem Tag wollten wir bereits mit der Kamera dabei sein, doch hatten wir nur noch eine Woche Zeit.

Die Aufgabenverteilung zwischen Fayd und mir ergab sich von selbst. Fayd organisierte die Dreharbeiten vor Ort, übernahm alle Recherchen in der DDR, während ich mich um das Team und die technische Seite der Produktion kümmerte.

Fayd hatte bis dahin einige Super-8-Filme gedreht, jedoch war die 16mm-Technik in der DDR der DEFA und der Filmhochschule vorbehalten.

Ich organisierte ein Team, hauptsächlich bestehend aus Leuten, mit denen ich seit Jahren Kurzfilme gedreht habe.

Paralell zu der Organisation der Dreharbeiten stellten wir einen Eilantrag an das FILMBÜRO NW, die Filmförderung des Landes NW.

Bezüglich des künstlerischen Konzeptes fanden wir überraschend schnell zusammen. Wir wollten ehemalige Häftlinge interviewen, dabei dies möglichst so, daß beim Schnitt die meisten Fragen herausgeschnitten werden konnten. Die Aussagen der Menschen sollten frei für sich stehen, wir wollten so wenig wie möglich in Erscheinung treten. 

So sollte auch kein Kommentar hinzugefügt werden und keine Musik. 

Da die finanzielle Seite der Produktion noch völlig ungeklärt war, versuchten wir die Produktionsmittel so günstig wie möglich zu bekommen, auch unter Ausnutzung der aktuellen politischen Umstände.

So tauschten wir West- gegen Ostwährung und fuhren nach Wolfen zum ORWO-Werk, der DDR-Fabrik für Filmmaterial.

Dort redete Fayd 4 Stunden lang auf die Verwaltung ein, ihm 16mm-Filmmaterial zu verkaufen. Dies war äußerst schwierig, da es im Sozialismus ebensowenig wie im Kapitalismus einen Direktverkauf von Fabrik an Endverbraucher gibt. Wie er es schließlich doch geschafft hat, wird sein Geheimnis bleiben, jedenfalls fuhren wir mit 40 Rollen 16mm-Material nach Hause, gekauft für umgerechnet 500 DM, ein Material das bei Kodak gekauft etwa das 20fache gekostet hätte.

Einen Tag vor Drehbeginn erreichte uns dann auch noch die Nachricht vom Filmbüro, daß unser Film mit 10 000.- unterstützt werden würde.

Dazu ist jedoch zu sagen, daß dieser Betrag schließlich nicht einmal die Kopierwerksrechnungen deckte, da der Film mit 70 Minuten erheblich länger wurde als ursprünglich geplant. So arbeiteten alle am Film Beteiligten nahezu ohne Gage, sonst wäre diese Produktion nicht möglich gewesen.

Zu den Dreharbeiten selbst kann ich nicht viel sagen.

Fayd und ich wechselten uns mit den Interviews ab. Die Stimmung in dieser Situation, in einem leeren, riesigen Gefängnis zu stehen und um die Ereignisse zu wissen, ist nicht wiederzugeben 

Und wenn ich mir jetzt den Film anschaue, ist dies auch eine Lektion bezüglich der Transportfähigkeit von Bildern, bewegten oder nicht bewegten. Diese Transportfähigkeit ist sehr beschränkt, dies wird oft vergessen.

Völlig überraschend war für uns die Offenheit, mit der die meisten unserer Interviewpartner über ihre Erlebnisse berichteten, und die Selbstverständlichkeit im Umgang mit der Anwesenheit des Kamerateams. Niemand der Zeugen hatte jemals zuvor vor einer Kamera gestanden.

Um aber auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen, führten wir ein mehrstündiges Gespräch mit einem Wärter und der Sekretärin des Gefängnisses, beide Mitarbeiter der Stasi.

Beide erlaubten einen Tonbandmitschnitt des Interviews, jedoch keine Filmaufnahmen.

Nach den Dreharbeiten stand uns etwa 10 Stunden Material zur Verfügung.

Wir führten beim Schnitt das Konzept der „Strenge und Rohheit“ weiter, das den fertigen Film prägt.

Fayd Jungnickel  zu dem Film LINDENHOTEL
(Text aus dem Presseheft, 1990)

(Fayd Jungnickel, 21, Stukkateur, lebt in Potsdam)

In den vergangenen Jahren entpuppte sich der SED-Staat für mich zunehmend als diktatorisches Unrechtssystem.

Wenn ich selbst nicht Opfer der herrschenden Scheinjustiz wurde, war es jedoch unvermeidlich, mit dieser unmittelbar in Berührung zu kommen.

Als das Gebäude, im Volksmund LINDENHOTEL genannt, im Februar 1990 für die Öffentlichkeit zum erstenmal zugänglich wurde, mußte ich mich an bedrückende Erzählungen ehemaliger Insassen erinnern.

Da es in damaliger Zeit streng verboten und somit sehr gefährlich war, detaillierte Berichte über Gefängnisse in der DDR zu geben, sind die Zustände dort bis heute in der Bevölkerung meist unicht bekannt.

Erst im Laufe der Recherchen wurde mir klar, daß es sich hier nicht nur um eine Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit schlechthin handelte. Die Geschichte des Gebäudes steht in engem Zusammenhang mit deutscher Vergangenheit, und so beginnt der Film auch mit einem ehemaligen Insassen aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Bei der Suche nach Zeugen kristallisierten sich sehr schnell zwei Probleme heraus:

Natürlich durften in einem Dokumentarfilm nicht nur Opfer zu Wort kommen, sondern auch sogenannte Täter. Hier stieß ich auf nahezu unüberwindbare bürokratische Mauern, die mit Sicherheit nicht nur Selbstzweck waren. Wenn ich trotzdem Erfolg hatte, so ist das keinesfalls auf das Wohlwollen irgendeiner Institution oder Behörden zurückzuführen.

Andererseits war es nicht einfach, überzeugende Personen aus jüngerer Zeit zu finden. Wahrscheinlich ist dies darauf zurückzuführen, daß diesen Menschen für die Verarbeitung ihrer Erlebnisse noch nicht genügend Zeit zur Verfügung stand.

Teil des Konzeptes dieses Films war auch, daß auf stilisierende bzw. ästhetisierende Mittel wie Kommentar, Musik oder Ähnliches verzichtet wurde.

Stabliste folgt auf Seite 2

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