Leseprobe:
Lange Zeit werdet Ihr nun nichts von mir hören. Sorgt Euch bitte nicht zuviel um mich. Es wird alles gut.
Getragen von Euren Gebeten und Wünschen werde ich meine Pflicht tun.
– Aus einem Brief von Günther Kundrus, dem Bruder meiner Mutter Ilse und meiner Tante Hilde, vom 1. Dezember 1941 an seine Eltern –
Troisdorf.
Ich bin 14 Jahre alt. 9. Schuljahr.
An einem Sonntagnachmittag sehe ich im Wohnzimmer fern, eine neue Folge von „Lassie“ wird gezeigt. Ich liebe Lassie.
Vater kommt aus der Küche, er hat schon etwas getrunken, in der Hand glimmt eine Zigarette.
„Was ist das denn für ein Mist?“
„Lassie“, sage ich nur, als ob Vater das nicht wüsste.
Ich lasse mir die Freude an Lassie nicht nehmen.
Vater zieht an seiner Zigarette und bläst verächtlich den Rauch in die Luft. Als er selbst Kind war, erklärt Vater, da habe es im Kino wirklich tolle Hundefilme gegeben, „Rin Tin Tin“, so der Name des Hundes, es sei ein deutscher Schäferhund gewesen. Das, was ich mir da anschaue, sei bestenfalls eine flaue Kopie.
Ich sage nichts.
Ich liebe Lassie.
Vater geht schwankend zurück in die Küche und knallt die Tür hinter sich zu. Die Leier kenne ich schon. Früher war alles besser. Und jetzt ist alles Scheiße. Früher gab es ein tolles, großes, starkes Deutschland, heute nur eine miese Bundesrepublik, die DDR kann man ja völlig vergessen. Früher gab es den tollen Führer, heute nur verachtenswerte, langweilige Bundeskanzler. Früher gab es die großartigen Hunde im Kino, heute nur einen müden Abklatsch im Fernsehen. Früher lebte der tolle Bruder noch, heute gibt es nur mich, ich gehöre zum flauen, miesen Jetzt, ein Jetzt, welches sich nur mit einer abendlichen Literflasche Korn ertragen lässt. Es wäre besser, die Scheißbundesrepublik würde verschwinden, diese Scheißbundeskanzler würden verschwinden, Rin Tin Tin würde im Fernsehen laufen und ich wäre besser auch nicht mehr da.
Leseprobe Ende.
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